Wenn alle Menschen grüne Augen hätten …

Foto Belinda Helmert, Bremer Theater am Goetehplatz

Aphorismus Heinrich von Kleists zur Urteilskraft

Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün – und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört.

Kleists Metonymie und Gleichnis (https://www.philosophie.uni-wuppertal.de/fileadmin/philosophie/PDFs_allg/Seminarmaterialien/Schiemann/Lit_Kleist_Wahrheit__an_Wilhelmine_von_Zenge__gek%C3%BCrzt.pdf) hat nichts an Anktualität verloren. Wir Menschen sind nicht gleich, wir haben nur (theoretisch) die gleichen Rechte. Und Wirklichkeit oder Wahrheit liegt nun wirklich mehr denn je im Auge des Betrchters. Das haben die Medien in ihrer Berichterstattung jüngt bestätigt.

Vom Umgang mit der Heterotopie

Doch es gibt die blauen, die braunen, die grauen und den Star natürlich auch. Es gibt sie, die Gretls und die Garbos, die Schlichten und die Eleganten, die einfach Gestrickten und die Glamourösen und es soll sie auch geben, damit nicht alle im Einheitskleid durch die Welt spazieren. Es gibt die im Lichte Stehenden und die Blümchen an der Mauer, die Theater machen und welche, die Lücken im Publikum füllen und natürlich gibt es Schnittmengen, denn das eine schließt das andere nicht aus. Wird der Blinde noch die Farben (der Menschlichkeit) erkennen.

Silvester kann man das Jahr bilanzieren und sich vornehmen, dass alles besser oder wenigstens anders wird. So wie die Meere weiter überfischt werden, die Butterberge sich häufen und die Bauern oder Landwirte streiken, für faire Preise die einen, für umweltgerechtere Agrarkultur die anderen, jedes Jahr aufs Neue, wie Gewerkschaften, die Löhne an die Inflation anzupassen versuchen. Das alles kann einem die Laune vermiesen oder gar Weltuntergangstimmung verbreiten, dagegen impfen lassen kann man sich nicht. Was aber jeder kann ist ein Apfelbäumchen pflanzen, vielleicht wird aus diesem Traum ein Tiger, auf dessen Rücken man reiten kann. Wir reiten und träumen heute durch Orte, Räume und wer vermag Traum und Alp noch zu unterscheiden?

Sehen erfordert mehr als Hinblicken oder Gaffen

„Es ist als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.“ (https://rainer-maria-rilke.de/080027panther.html) Hinschauen genügt schon, wegschauen erzeugt Angst. Wer die Wahrheit will, vor allem auch in der Kunst, der muss sehen lernen. Rohheit zerbricht Realität. Es gibt nichts Gewaltigeres, als ein Tier zu sehen, daß vor Lust vergeht. Es gibt keine Moral in der Natur. Was gibt es Gewaltigeres, als unverstelltes Verlangen. Die Kunst ist heilig. Selbst die Wollust vermag sie nicht zu entheiligen. (Rilkes Brief an Clara Wedekind, 6.11. 1902 zur Niederschrift seines Gedichts Der Panther) Rilke lesen, immer wieder, das hilft mehr als ein Gebet.

Ethische Fragen wie kulturelle Ansprüche oder gar Anliegen sind nicht systemrelevant, zumindest zweitrangig gegenüber dem, was Fakten, die nackten, so inkludieren. Baudelaire schreibt, Politik sei Prostitution und das ohne zu bezahlen. Er hält sie für geschmacklos und bezweifelt das eine Wahl daran etwas ändert, es bliebe doch ein einziger Brei. Er hat erleben müssen, wie die Kunst so lange von den Menschen verraten wird, bis sie selbst verrät. Er weiß, wie es ist, wenn alles auf das ‚Gleiche hinausläuft. Ob mit König, ohne König, es merkelt sich doch nur das Mäntelchen. Perücken ändern sich und heißen heute Demokratie. Kleist hingegen liefert ein Plädoyer, sich selbst frei Frost zu bewegen und dieser Dialektik des Stillstands entwas entgegenzusetzen.

„Ein freier, denkender Mensch bleibt nicht da stehen, wo der Zufall ihn hinstößt; oder wenn er bleibt, so bleibt er aus Gründen, aus Wahl des Bessern.“

Foto Belinda Helmert, Dresdner Zwinger (https://www.der-dresdner-zwinger.de/de/dresdner-zwinger/)

Von Kleist weilte 1808/9 in Dresden, um seinen gegründeten Verlage Pheobus zu betreuen. Dieser lebte nebst seiner Poesie von aktuellen Kriminal- und sonstigen außergwöhnliche Geschichten, die Polizeiinformanten dem ehemaligen Major zutrugen. Das Spionagenetz in Zeiten der Napoleon-Hysterie zeitigte eine Vielzahl von Denunziationen. Kunst wurde per se verdächtig und der Künstler leicht zum Verbrecher. Am König oder Staat bzw. ihren Dekreten zu zweifeln führte zum sofortigen Arrest.

Kunst muss politisch werden, weil sie bereits politisch ist

Die Kunst im Zwinger? Scheinbares Paradox. Doch wenn selbst ein Nein zu einer Partei ein Ja zu einer Haltung einschließt und sich in Zeiten medialer Präsenz niemand davonschleichen kannt: Die Politik muss poetischer werden und die Poesie in jedem Fall politisch. Man schreibt fürs Volk oder besser gar nicht. Kunst ist mehr als sich amüsieren und das Spiel mit der Einbildungskraft auch immer von Ernst. „Kunst muss politisch werden, weil sie bereits politisch ist„, sagt Georg Büchner im Hessischen Landboten nebst „Friede den Hütten, Krieg den Palästen„. (https://www.projekt-gutenberg.org/buechner/landbote/landbote.html). Auch zu seiner Zeit war Kunst selten öffentlich, sondern Privatbesitz. Nicht zfällig entwickelten sich Zwinger und Louvre aus einer Festung samt Gefängnis zu einem Museum.

Eine Bühne zur Belustigung oder Selbst-Erquickung, an der sich bloß der Intellekt delektiere, das geht nicht an bei Hunger und Not. „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ (https://www.projekt-gutenberg.org/buechner/landbote/landbote.html). Das gilt erst recht, wenn wenn die Revolution ihre Kinder frisst. Irgendwann wird das Meer ausgetrunken sein. Wer´s nicht glaubt, der fahre ans Tote Meer. (https://www.zeit.de/wissen/2015-07/totes-meer-erdloecher-fs). Die Ressourcen schrumpfen – wie es ausschieht, Moral und Hirn mit ihnen.

Foto Belinda Helmert, Kunstausstellung im Zwinger, Detail Raffael

Vielleicht lebt sich´s besser, wenn man alles trennt. Dichung und Wahrheit, mein und dein. Ein Herr von Goethe, Geheimrat seines Zeichens, machte es richtig und allen Deutschen vor. Die wirklich guten Literaten vom Schlage Hölderlins, Kleists und Lenz beißt man weg, die eigenen Verslein wagen sich weit hinter die Wolkendecke, da hat man Mitglied mit dem armen Gretchen, was ihr Faust, was man ihrer Mutter angetan. In der Poesie darf Werther sterben, er muss es sogar, denn er darf nicht glücklich sein. So wie ein Volk mit seinen Dichtern umgeht, so ist es um seine Freiheit bestellt.

Was wäre die Romantik auch ohne Schmerz und die Menschen sollen das verführte Mädchen bedauern. Vor Gericht aber sprach er sie schuldig, die Selbstmörder bekamen auch in Weimar kein Grab, die Kindsmörderinnen ihres neben das tote Kind in der Wiege gelegt. Ach könnte doch ein einzelner all die Last der Welt auf seinen Schultern tragen ! Doch wir sind Zwerge nur auf den Schultern von Riesen.

Foto Belinda Helmert, Zwinger in Dresden mit Atlas, der die Welt schultert (https://de.wikipedia.org/wiki/Zwinger_(Dresden)#Der_Begriff_Zwinger)

Eingeklemmt zwischen Sub- und Objektivität, Wut und Ohnmacht

Ein halbes Jahr politisch, das andere sich engagieren. Wär´s doch so einfach mit den halben Sachen, dann könnte aus etwas weniger doch so viel mehr werden. Im Sozialismus gab´s kein Ich, das galt als verdächtig, wie jede Form von Subjektivität. Nur leider macht das viele Rot die anderen Farben kaputt, bunte Träume gehen nun mal mit schwarz und gold dazu. Im Westen, bekanntlich nichts Neues, alles schön bunt und doch grauer als man glaubt. Die wirklich wichtigen Werte wollen Wir, so lautet der einfache Kalauer, damit es auch der letzte Fahnenträger merkt.

Foto Belinda Helmert, Dresdner Zwinger

Die Kanzlerin sagt, die Schere zwischen den Schichten darf nicht weiter auseinandergehen. Zwischen Wut und Ohnmacht stehen wir schon, auf dünnem Eis, Politik wie Poesie sind mit dünner Nadel gestrickt. Die Philosophie soll sich engagieren, nicht nur Sartre sagt es, wir sind verdammt dazu, denn die Hölle sollen nicht die anderen sein, wir selbst sind uns die besten Feinde. Menschen gehen zur Kirche, lesen die Bibel, handeln vor der Tür, als hätten sie leere Seiten studiert, sogar Prediger, auf die können sie sich berufen, Evolution ist auch ein unchristliches Wort, weshalb nur hat es Jesus nicht gekannt, der die Menschen doch entwickeln wollte wie jeder wahre Dichter, der noch an Utopien glaubt. Buchstabengetreu ist nichts, Leiden schreibt man heute Leyen mit zwei Fehlern, weil so viel richtiger ist. Weil es kein Geblüt von Geiste mehr gibt, tut´ s auch ein von. „Kinder müssen wieder willkommen sein und einen festen Platz im Alltag haben.“ (https://beruhmte-zitate.de/autoren/ursula-von-der-leyen/). Sagt sie und verbaut Europa die Zukunft.

Foto Belinda Helmert, Glockenspiel aus Meißner Porzellan im Dresdner Zwinger

Die Sängerin Josephine …

Einst gab eine Maus ein Konzert, damit sie, wie sie uns verriet, nicht arbeiten musste. Es kamen der Jünger aus ihrem Volk gar viele, die ganze Brut, und ein jeder oder doch die meisten, hörten die schiefen Töne. Ei, die kann nicht singen, nur piepsen, dachten sich viele, doch ein jeder auch: weshalb soll ich das sagen, es genügt doch, dass ich es weiß. Gibt nur Ärger, wenn man der erste ist, der Unrecht bemerkt, an dem sich keiner zu stören scheint.

Josephine ist eine Maus, doch das Volk hat sie zur Diva, zur Königin gemacht. Die Macht ihres Gesangs reißt fort, selbst wenn es kein Gesang ist, die Sirenen verführen auch, selbst wenn sie schweigen. Kafka hat es wohl geahnt. (https://www.youtube.com/watch?v=ZLIiMVqC18w) Mit Kleist hat er das Interesse am Naturgesetz, der Entwurzelung seiner Gewalt im anonymen Staatsgesetz gemein. Leviathan fördert die Kohlhaasen dieser Welt.

Foto Belinda Helmert, Dresdner Zwinger

Wahrheits-Wahn

„Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urtheilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün — und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzuthut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr — und alles Bestreben, ein Eigenthum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich“ . so steht es in Kleists Brief an Wilhelmine Zenge, 22. März 1801.

Foto Belinda Helmert, Dresdner Zwinger

Es ist, wie Tucholsky sagt mit dem Wünschen: man wünscht sich eine große Schlanke und nimmt dann doch die keine Dicke. Oder Heine süffisant über den Sonnenuntergang: „Hier vorne geht sie unter /Und kehrt von hinten zurück“. (https://www.mumag.de/gedichte/hei_h33.html)

Wer´s nicht versteht, der soll sich seine Neujahreswünsche selbst formulieren. Ein bisschen mehr Aufbegehren der Künstler und ein weg von der Zwangssterilität, doch bitte auch keine Phrasen, dass sich im Theater noch niemand angesteckt habe, auf der Bühne noch niemand eines echten Todes gestorben sei. Hamlet war gar kein Däne und Shakespeare hat auch manches von Marlowe.

Foto Belinda Helmert, Galerie

Vom Ende der Egozentrik

Aufhören mit Weinen um Beethovens Neunte, die kann notfalls auch zu Hause hören und jammern auf hohem Niveau. Etwas mehr Perspektiven und ja, sich wirklich Gedanken um Umwelt und Zukunft machen, notfalls auch mal für Butter tiefer in die Tasche greifen. Etwas mehr Mut, sich selber treu zu bleiben, nicht unbedingt die ganze Welt retten. Kunst darf auch einfach schön sein und sich selbst genügen, doch Gehalt und Form sind keine Feinde.

Etwas mehr Ehrlichkeit oder Konsequenz bei den eigenen Aussagen, es merkelt sich sonst wirklich auseinander in unserem geleydeten Land. Etwas mehr Farben ohne im Einheitsbrei zu versinken, die Stimme erheben, wenn es piepst und nicht singt und wenn alle klatschen, deshalb muss ich nichts beschönigen.

Etwas weniger Angst vor Zahlen und Gitterstäben, mehr Raum für das Tier und das Kind in uns und Wissenschaft darf auch mal zugeben, dass sie irrt und Gott, der darf es nicht, den darf man auch mal in der Kirche und im Dorf lassen, wenn nicht des Herzens Regung aus ihm spricht.

Foto Belinda Helmert, Innenhof des Dresdner Zwingers

Also antwortete ich Zarathustra

Einst fragte man mich, welchen Satz ich mitnehmen würde auf den Mars. Es ist eine absurde Frage, denn wer würde mich dort verstehen? Doch wenn es darum geht, worauf sich nicht verzichten lässt, dann ist es diese Weisheit: „Die »Vernunft« in der Sprache: o was für eine alte betrügerische Weibsperson! Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben… (Nietzsche, Götzendämmerung, Von der Vernunft in der Philosophie, 5)

Foto Belinda Helmert, Dresdner Zwinger, Innenhof

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